skug #86, 4–6/2011

TEXT JOHANNES SPRINGER | Veröffentlicht in der österreichischen Musikzeitschrift SKUG

Die Rückkehr der verratenen Versprechen

Ein Gespräch mit dem in Hamburg lebenden und arbeitenden Christoph Schäfer über Zeichnen als
Wunschmaschine, Wege der Stadterforschung und politische Wetterwinkel.

skug: Du bist als embedded artist bezeichnet
worden, als Künstler-Aktivist, der an sozialen
Bewegungen, wie etwa in Hamburg bei stadträumlichen
Auseinandersetzungen, von »Park
Fiction« bis »Recht auf Stadt« teilnimmt. Wie
stellst du diese Verbindung her?

Christoph Schäfer: Embedded, Künstler und
Aktivist – diese Begriffe sind Fallen. Mir geht es um
Aneignungsprozesse, um eine totalisierte Wunschproduktion,
in der sich diese Identitäten auflösen.
Manchmal gelingt es, dass künstlerische Mittel in
einer Bewegung eine Funktion übernehmen können
– oder eine ungewohnte Perspektive eröffnen.
Wenn man dem Stadttheoretiker Henri Lefebvre
folgt, werden wir alle im Verlauf der »urbanen
Revolution« unser Alltagsleben in Dichtung verwandeln.
Das bedeutet für mich auch, dass man
auf die eigene Gelangweiltheit mit Umständen, Politsprachen
und bürokratischen Bedenken reagiert,
und sich immer wieder neue Herangehensweisen,
Formen, Fluchten und Finten überlegt und sich in
andere Milieus hineinbewegt.
In deinem Buch »Die Stadt ist unsere Fabrik«,
das auch als eine Art zeichnerische Übersetzung
von marxistischer Stadttheorie funktioniert,
gibt es einen Teil, der die jüngeren
Kämpfe in Hamburg Bewegungstagebuch-artig
aufgreift. Was war die Idee für das Buch?

Spector Books hat mich 2008 gefragt, ob ich nicht
ein gezeichnetes, subjektives Stadt-Bewegungs-
Buch machen wolle. Als Arbeitstitel hatten wir
»Lefebvre 4 Kids« – so heißt jetzt das erste Kapitel.
Das Buch robbt sich durch dessen Begriffe, durch
die Geschichte der Stadt vom Urschlamm bis zur
»Recht auf Stadt«-Bewegung in Hamburg. Dieses
pseudo-historische Panorama wird immer wieder
durch Sprünge in Zeit und Raum durchkreuzt, und
ich versuche eine Definition der urbanen Revolution
zu umreißen, durch Gespräche mit Freundinnen,
durch Kellerlokale, Passagen, explodierende
Slums, Militärstädte, Hausbesetzungen, durch
zivilen Ungehorsam und verqualmte Nächte. Henri
Lefebvre taucht als Stimme vom Tonband auf und
Georg Simmel erscheint als Gespenst. Irgendwann
im Sommer 2009 stockte die Arbeit am Buch für
fast ein halbes Jahr, weil so wahnsinnig viel in
Hamburg los war – ab Sommer gab es jede Woche
eine außergewöhnliche Aktion, Besetzung oder
Walzerparade, und zwischendurch musste man
diskutieren oder Sachen vorbereiten. Diese ganzen
tollen kleinen Momente mussten natürlich rein,
und machen jetzt fast das halbe Buch aus.
Beide von dir besprochenen Projekte fokussieren
auf die Stadt als Ort gegenwärtiger und
zukünftiger sozialer Kämpfe. Bei »Auslaufendes
Rot« heißt es an einer Stelle: »Denn wir erfinden
die Stadt, die Welt neu« und das Buch handelt
von Phänomenen wie Gentrifizierung, lokaler
Partizipation und der Stadt als demjenigen Ort,
an dem postfordistische, »immaterielle« Produktionsweisen
massiert anzutreffen sind. Kannst
du diesen theoretischen Horizont zwischen
Postoperaismus und Lefebvrescher Stadttheorie
für deine Arbeit ein bisschen erläutern?

Der Horizont zur Überwindung der Krise der auf
Funktionales reduzierten Stadt der Nachkriegszeit
lag für Lefebvre in einer durch den Surrealismus
und die Pariser Bohème geprägten Vorstellung
eines »dichterischen Lebens« – die Revolution der
Städte also als Aneignung, als Genuss. Antonio
Negri und Maurizio Lazzarato wiederum haben
mit der »fabricca diffusa« und der »Immateriellen
Arbeit« die sich-in-den-Raum-auflösende-Fabrik
beschrieben, das schlüpfrige Terrain des Postfordismus,
auf dem einerseits die Widerständigkeiten
keinen Halt mehr finden – und andererseits genau
solche Dinge wie Poesie, Kreativität oder die Er-
findung von Haltungen, Kultur im weitesten Sinne
– eine zentrale Bedeutung in der kapitalistischen
Produktion von Wert bekommen. Jetzt hat es aber
die »Recht auf Stadt«-Bewegung in Hamburg in
kleinem Maßstab geschafft, die Frage, in welcher
Stadt wir eigentlich leben wollen, wieder auf die
Tagesordnung zu setzen – weil zum Beispiel MalerInnen,
die kaum jemals ein Bild verkaufen, ihre
freundliche Besetzung des Gängeviertels mit Auseinandersetzungen
um bezahlbaren Wohnraum und
autonome Freiräume verknüpft haben. Die soziale
Frage wird also, ganz im Sinne von Lefebvre, im
Raum gestellt. Widerstand bekommt durch die
Aneignung von Räumen einen Widerhalt. Und
Resonanz, weil die Gegenseite durch das Gerede
über »Creative Cities« oberflächlich begriffen hat,
dass die Fähigkeit, Räume als Plattformen des Austauschs
funktionieren zu lassen, für kapitalistische
Wertbildung essentiell geworden ist. Wir erleben,
glaube ich, die ersten Experimente, wie sich der
Streik im Maschinenraum der Stadt, die unsere Fabrik
ist, organisieren ließe. Da sitze ich mit meinem
uneinheitlichen Werk und peripheren Fähigkeiten
mitten im Zentrum des Dilemmas. Die Musikszene
übrigens noch mehr, weil die das Leitmedium all
dieser Prozesse ist, und diese kommunikativen,
raumerfindenden und plattformbildenden Fähigkeiten
so virtuos beherrscht, dass alle anderen
Industrien oder Kulturfelder ihr hinterherlaufen.
Du hast einmal beschrieben, dass für dich das
Zeichnen ein Medium ist, um Dinge auszuloten,
ohne unbedingt ein Produkt herstellen oder
»nur« eine Idee umsetzen zu wollen. Kannst Du
diesen Arbeitsprozess, der dir das ermöglicht,
näher beschreiben? Und, warum dir das wichtig
ist.

Weil ich diese instrumentelle Art, Idee und Umsetzung
voneinander abzuspalten, Scheiße finde
– das ist eine der Voraussetzungen für Arbeitsteilung,
Ausbeutung und Schulsystem. Und bei
mir funktioniert das auch nicht – wenn ich etwas
wiederhole, dann wird es gleich eine Variation.
Das ist wie beim Sprechen: Politiker, die andauernd
dieselben abgedroschenen Sätze sagen,
wirken ja nicht ohne Grund häufig wie mechanisch
betriebene Leichen. Und dann gibt es Abende,
da spielt man sich mit jemandem die Argumente
und Geschichten hin und her, und die Gedanken
verfassen sich beim Sprechen. Und so ähnlich funktioniert
das bei mir beim Zeichnen – ich kann den
Raum ausdehnen, in dem offen ist, ob ein Strich
aus erzählerischen, diagramm-mäßig gedachten
oder stilistischen Gründen aufs Blatt kommt.
Von außen betrachtet ist mein Eindruck, dass
es von Teilen der Hamburger Schule über »Park
Fiction« zu den aktuellen Bewegungen personelle
Kongruenzen gibt, das Dagegensein sich
aber vielleicht von Kämpfen gegen Nationalismus
wie bei den Wohlfahrtsausschüssen zu
Auseinandersetzungen um öffentliche Güter
wie Stadtraum verlagert hat. Gibt’s eigentlich
für dich subkulturelle oder politische Kontinuitätslinien,
die in Hamburg zu den aktuellen
Situationen geführt haben?

»Recht auf Stadt«, »Komm in die Gänge«, »NoBNQ
«, »Centro Sociale« wurden maßgeblich von
neuen Leuten angeschoben. Zwei Jahre zuvor
wollten alle hier wegziehen: »trendy, teuer,
langweilig – St. Pauli 2009« wie ein Heft von St.
Pauli Fans hieß – Smallville eben. Ich hatte, ehrlich
gesagt, Angst, dass es hier nie wieder gelingen
würde, die staatliche Politik herauszufordern. Aber
im Laufe des Jahres 2009 hat sich das komplett
gedreht – ich habe in drei Monaten mehr Leute
kennengelernt, als in den zehn Jahren davor.
Zum Glück gibt es Kontinuitäten – stilistisch, wie
personell. Dinge wie »Not in our name Marke
Hamburg« waren zwar wichtig und die Aktion kam
genau zum richtigen Zeitpunkt, die Wahrnehmung
in bestimmten Szenen ist aber überproportional.
Sicher ist: In Hamburg geht ohne Pop gar nichts.
Und es gibt in den Vierteln und Szenen ein unterschiedliches
lokales Widerstandswissen und Organisationsvermögen,
das plötzlich und unvermutet
wieder aktiv werden kann.
Das Kulturhauptstadtjahr Ruhr 2010 ist gerade
zu Ende gegangen und du hast mit der Installation
»Auslaufendes Rot« mitgewirkt. Könntest
du die verschiedenen Elemente der subversiven
Stadtbeflaggung, -beleuchtung, -beschreibung,
-zeichnung des Projekts skizzieren und wie du
damit versuchst, das soziale und politische
Gedächtnis des Ruhrgebiets herauszufordern?

Hier hat sich im März 1920 der größte bewaffnete
Volksaufstand im deutschsprachigen Raum
seit dem Bauernkrieg entwickelt: Die »Rote Ruhr
Armee« beendete den rechtsradikalen Kapp-Putsch
und ging gleich zur sozialen Revolution über. Doch
diese Ereignisse sind vergessen – oder verfälscht.
So steht bis heute an der Ruhr ein »Ehrenmal« für
die rechten Freikorps. Das wurde in der Nazizeit
errichtet – und zwar durch General von Watter,
der verantwortlich war für die Massaker der Truppe
an den Arbeiterinnen und Arbeitern im April
1920.
Ehrlich gesagt hätte ich erwartet, dass Ruhr 2010
diese verstörende Denkmalssituation korrigieren
würde, und das für die Kulturhauptstadtregion
bedeutende Ereignis kritisch aufarbeitet. Doch
nichts dergleichen ist passiert. Man zeichnet
ein dissensfreies Bild des Ruhrgebiets als postindustrielle
Kulturlandschaft. Geschichtsvergessen
taucht man alte Industriebauten in farbiges Licht
und schiebt sie so ins markenbildende Reich einer
entpolitisierten Ästhetik.
Mit der Arbeit wollte ich testen, ob sich die Mittel
des Stadtmarketings eignen, um die verschüttete
politische Bedeutung von Orten wieder sichtbar
zu machen. Durch die Einladung von Markus Ambach,
mich am Projekt »B1/A 40 – Die Schönheit
der großen Straße« zu beteiligen, bekam ich die
Möglichkeit, eine Arbeit direkt am Wasserturm
Steeler Straße zu realisieren. Genau hier fand
1920 ein Gefecht zwischen Reaktionären auf der
einen Seite und revolutionären Arbeitern auf der
anderen statt, das mit dem Sieg der Arbeiter endete.
Mein Großvater hatte sich damals, als junger
Mann mit der aus dem Nachtschrank des Vaters
geklauten Pistole aufgemacht, um sich auf Seiten
der Reaktionäre in die Kämpfe einzumischen.
So wurde das in der Familie erzählt. Die andere
Seite der Geschichte bekam ich während des
Zivildienstes von einem Patienten aus der Arbeiterklasse
erzählt.
Jedenfalls ist es so gelungen, im Sommer
2010 einen Wald aus roten Fahnen auf dem
Dach des Wasserturms Steeler Straße in Essen
Huttrop wehen zu lassen! Nachts wurde der
Bau in rotes Licht getaucht, dann leuchteten die
Flaggen über die ganze Stadt. Sehr gut auch
vom Essener Rathaus aus zu sehen ...
Auf dem Westfalendamm in Dortmund habe
ich die Geschichte der Roten Ruhr Armee in
Zeichnungen erzählt, eine Allee aus achtzig
Plakattafeln. Die waren wie eine Wahlkampagne
an Bäume montiert, die zwischen den verkehrsumtosten
Spuren der B1 wachsen – man konnte
aussteigen und sich die inmitten des Berufsverkehrs
auf einem Spaziergang anschauen. An der
Stelle hatten Arbeiter dem Freikorps Lichtschlag
eine vernichtende Niederlage beigebracht. Für die
Innenstadt habe ich eine Propaganda-Straßenbahn
mit Slogans versehen: »Brach – Brach – Wumm!«
und: »Sprengen! Die ganze Bande in die Luft jagen!
« – so ratterte die comicartig durch die Stadt.
Alles Zitate aus dem »Rote Eine Mark Roman«
»Sturm auf Essen« von 1930. Im Innenraum finden
sich ausführlichere Texte, gute Ratschläge aus
der Zeit der Revolte: »Hol‘ dir lieber eine Knarre,
dann kannste mitreden, dat is heute der beste
Ausweis bei solchen Debatten!«. Oder bis heute
gültige Fetzen aus Manifesten oder Erklärungen
der Märzrevolution, wie sie etwa der Vollzugsrat
einer Zechenkolonie in Dinslaken formuliert hatte:
»Wir verlangen das Paradies auf Erden und lassen
uns nicht länger mit der Hoffnung auf ein besseres
Jenseits abfinden.«
Ein Teil deiner Zeichnungen greift die historische
Geschichte der Roten Ruhr Armee auf,
bevor du zeichnend die Frage beantwortest, wie
eine Rote Ruhr Armee heute aussehen könnte:
dezentral, auf Rädern, in Callcentern werden
Lebensmittel koordiniert, etc. Ein schönes Bild,
das mit der imperativischen Form: »Du wirst
Dich entscheiden müssen« auch appellativen
Charakter hat.

Das ist eher eine Feststellung als ein Appell,
weil ich glaube, dass wir uns beschleunigt auf
Zeiten zubewegen, die einen ähnlich weichenstellenden
Charakter haben, wie es die revolutionäre
Frühphase der Weimarer Republik bis etwa 1923
hatte. Immer mehr Leute geraten in Bewegung,
beginnen sich zu organisieren und spontan etwas
zu bilden, das manchmal Ähnlichkeit mit den
damaligen »Räten« hat.
Du referierst ja auch auf Erhard Lucas Geschichte
der Märzrevolution, in dem an einer Stelle
darauf verwiesen wird, dass das Ruhrgebiet früher
als innenpolitischer Wetterwinkel galt, also
als Gebiet, in dem wegen der extremen sozialen
Polarisierungen auch leicht etwas Besonderes
passieren kann. Was ist aus dem Wetterwinkel-
Status des RGs im postindustriellen Stadium
geworden?

Das Ruhrgebiet ist ja im Zuge der Industrialisierung
entstanden und war ein wildes Einwanderungsgebiet
– die meisten von uns haben polnische oder
italienische Vorfahren. Als wichtigstes Industriegebiet
konnte ein großer Streik das ganze Land
lahmlegen. Heute ist überall Wetterwinkel: eine
just-in-time Produktion – etwa die von Opel – ist so
fein über den gesamten Kontinent verteilt und so
präzise getaktet – dass sie sich an vielen Stellen
unterbrechen lässt. Aber auch Leute, die Kunst
oder Musik, Wissen oder Orte produzieren, sind
inzwischen so sehr an urbane Wertbildungsabläufe
angeschlossen, dass sie genauso als »Wetterwinkel
« funktionieren können – wenn sich ein Weg
findet, die eigenen Kämpfe mit denen von Anderen
zu verknüpfen.
Um auf die Rote Ruhr Armee zurück zu kommen
– extrem spannend finde ich die Entdeckung, dass
die Revolution im Ruhrgebiet von Leuten am Rand
in Gang gesetzt wurde, die bis dahin gezwungen
gewesen waren, die schlechtesten Bedingungen zu
akzeptieren: ausgehend vom gewerkschaftlich nicht
organisierten MigrantInnenmilieu in Hamborn entwickelten
sich die ersten Demonstrationszüge und
es wurden in wilden Streiks benachbarte Zechen
blockiert. Diese Aktionen gaben der Sache eine revolutionäre
Bewegungsdynamik – und nicht die gut
organisierten Arbeiter, die die Gewerkschaften oder
die leninistischen Einheitsparteien im Auge hatten.
Mich hat das ganze Konzept ein bisschen an
Gruppen wie »Tactical Tourism« in Barcelona
erinnert, bei denen das soziale und politische
Gedächtnis des Anarchismus an wichtigen
Orten seiner Kämpfe durch performative,
interventionistische Stadtführungen abgerufen
werden soll. Dort wird wiederum aber auch
der touristische Blick, distanziert und passiv,
aufgebrochen. Bei deiner Arbeit stelle ich mir
das schwieriger vor, was in der Weise der nur
inhaltlichen, aber nicht formalen Umkehrung
von Stadtmarketing liegt. Was für eine Art von
Intervention und was für eine Rezeption hast du
dir dabei gewünscht/vorgestellt?

Mich interessieren Hebelwirkungen – wie sich ein
Spannungsverhältnis zwischen dem Imaginären
und dem Status Quo herstellen lässt. Ob es im
Ruhrgebiet überhaupt einen touristischen Blick
gibt, der sich mit dem auf Barcelona gerichteten
vergleichen ließe, wage ich zu bezweifeln. Und das
Aufbrechen des »passiv distanzierten Blicks mit
performativen Mitteln« steht ganz oben auf der
Agenda der Eventindustrie ... Auch diese Mittel
muss man dialektisch sehen und einsetzen. Im
Ruhrgebiet organisiert etwa Ralph Klein achtstündige
Straßenbahntouren auf der Spur der
Roten Ruhr Armee, also von Witten bis Dinslaken,
mit öffentlichen Linienstraßenbahnen. Aber
die Wenigen, die sich mit dem Thema befassen,
merken, dass sie sich damit nicht durchsetzen
können. Dominant ist weiter die von der Industrie
und der SPD verfälschte Erzählung. Ich wollte mich
gezielt auf genau dem Niveau auseinandersetzen,
auf dem die Gegenseite spielt – die Geschichte
einer sozialen Revolte unter den Bedingungen der
Imagecity sichtbar machen.
Ein Problem wiederum, das in Barcelona diskutiert
wird, ist, dass man dadurch manchmal der
Imageproduktion einer Stadt als »subversive
city«, als abweichend, interessant und kreativ
zuarbeitet. Aber die Gefahr ist im Ruhrgebiet
relativ klein, oder?
Allerdings, die könnten dort ein gerüttelt Maß an
Subversion gebrauchen. So richtig die Überlegung
in Barcelona ist, sehe ich in Teilen der Linken das
Problem, dass man sich mit schuldethischen Argumentationen
selbst ohnmächtig denkt: wer sagt
denn, dass subversives Marketing nicht auch ein
Verhalten aufrufen oder einüben kann, das außer
Kontrolle gerät?
Eine andere Referenz, die ich in dem Zusammenhang
des Projekts spannend fand, waren
spectro-politics und spectro-geographies mit
den ganzen Anschlüssen an hauntology, das
Gespenstische, Abwesende im Raum: Gerade
im Bezug auf alltägliche Orte der Arbeiterklasse
oder solche der Kämpfe, die dadurch auf
emanzipatorische Weise wieder aufgerufen
werden sollen. Ist das ein Referenzraum, der
dich interessiert?

Gespenster kommen nach meiner Erfahrung ja
ungefragt und schmuggeln sich ohne anzuklopfen
in den Alltag ein und verrücken einem die Möbel.
Also insofern ist das eine Art, Leute zum Nachdenken
zu bringen, die mir gut gefällt. In Delhi
suchen Gespenster zum Beispiel gerne Häuser
heim, aus denen Muslime vertrieben wurden – und
die Hindus müssen heute, sechzig Jahre später,
muslimische Zauberer beschäftigen, um die
Gespenster zum Auszug zu bewegen. Ich fände es
unbescheiden, daraus eine künstlerische Strategie
abzuleiten. Ich beziehe mich auf Walter Benjamins
Idee der Rückkehr der verratenen Versprechen
einer vergangenen Epoche.
An den Aspekt der Aktivierung anknüpfend:
Dich interessiert der Muralismo von David
Alfaro Siqueiros, da dieser mit der Prämisse
arbeitet, das Bild eines revolutionären Künstlers
sollte vom Betrachter in Betrieb gesetzt werden.
Könntest du das in Bezug auf deine eigene
Arbeit abschließend näher beschreiben?
»Park Fiction« war ganz direkt als Plattform der
Wunschproduktion und des Austauschs mit anderen
konzipiert. Allerdings lehne ich es künstlerisch
wie politisch ab, zum Verwalter der Wünsche
oder Ideen von Anderen zu werden – ich finde es
wichtig, eine Praxis aus dem eigenen Alltag heraus,
subjektiv und mit einer eigenen Haltung zu entwickeln.
Eine Arbeit wie »Auslaufendes Rot – Anti-
Monument für die Rote Ruhr Armee« fand aber im
Kulturhauptstadtkontext statt, der darauf angelegt
ist, die Stimmen des Alltags zum Schweigen zu
bringen und Kunst so zu framen, dass sie inhaltlich
verpufft – da muss die »Partizipation« auf Augenhöhe
mit der Macht passieren, sonst wird sie zum
Mätzchen. Ich habe eher »Maschine gemacht« mit
dieser Situation.

Christoph Schäfer: »Die Stadt ist unsere Fabrik
/ The City Is Our Factory« Leipzig: Spector Books
2010, 304 Seiten, EUR 28,–

»Das Zeichnen als Wunschmaschine« ist auch der
Titel eines Workshops, den Christoph Schäfer an
der Internationalen Sommerakademie für Bildende
Kunst Salzburg vom 8.–27. 8. 2011 anbietet.

www.christophschaefer.net

»Die Stadt ist nicht der Staat«, liest man neben einer
zeichnerischen Annäherung Schäfers an die räumliche
und soziale »Autogestion« der einige Jahrzehnte
zwischen China und Hongkong strittigen und darum
recht eigenwillig existierenden Kowloon Walled City.
Man könnte viele der in diesem Buch aufgegriffenen
Konzepte Lefebvres nehmen und weiterdiskutieren,
im Falle der »Autogestion« oder Selbstorganisation/
Selbstverwaltung bietet es sich angesichts der Menge
an jüngeren Veröffentlichungen dazu besonders an.
Denn, dass die Stadt nicht der – für Lefebvre ohnehin
abzuschaffende – Staat ist, findet man als Idee auch
in seinen Ausführungen zur Pariser Kommune, zu
mexikanischen und portugiesischen shantytowns
aber auch seiner Kritik des jugoslawischen, von oben
verordneten, bürokratischen (Castoriadis) Wegs zur
»Autogestion«. Interessant wird die Diskussion um
den Begriff vor allem heute, wo, wie Klaus Ronneberger
einleuchtend in Sabine Bitters und Helmut Webers
wunderschönem Band zum Thema argumentiert,
der top-down Staat des Fordismus gegen welchen die
Graswurzel-Selbstorganisationsnormative ursprünglich
ins Feld geführt wurden, so nicht mehr existiert.
Die Schwachstellen des Staates, in denen die Räume
für selbstverwaltete Fabriken, Nachbarschaftskomitees
etc. sich entwickeln sollten, wurden ganz anders
attackiert als von Lefebvre vermutet. Die Ablehnung
des lassalleianischen Weges des Staatssozialismus,
der immerhin noch sozialen Wohnungsbau anbot,
gegen den Lefebvre wilde Siedlungen favorisieren
konnte, hat sich stark transformiert, wie man weiß.
Aber ob sein Alltagsutopianismus (Brenner), der die
Fissuren des Systems so erkennt, dass in ihnen etwas
Neues entstehen kann, das Selbstorganisation beinhaltet
und den Staat durch dezentrale, demokratische
Strukturen ersetzt, damit obsolet ist, sei dahingestellt.
Das Mögliche ist immer im Realen, wenn auch nur in
Fragmenten.

Sabine Bitter & Helmut Weber: »Autogestion, or
Henri Lefebvre in New Belgrade« Leipzig: Spector
Berlin: Sternberg Press 2009, 160 Seiten, EUR 19,–
Sabine Bitter/Helmut Weber: »Right, to the City«
Salzburg: Edition Fotohof 2009, 192 Seiten, EUR 25,–

Henri Lefebvre: »Theoretical Problems of Autogestion
« In: Neil Brenner/Stuart Elden (Hg.): State, Space,
World. Minneapolis: University of Minnesota Press
2009, 330 Seiten, EUR 24,99

Neil Brenner: »Henri Lefebvre’s Critique of State
Productivism« In: Kanishka Goonewardena et al
(Hg.): Space, Difference, Everyday Life. Reading Henri
Lefebvre. New York/London: Routledge 2008, 329
Seiten, EUR 41,99
In die Lücken stoßen