Gängeviertel, 22. August 2009.
Ole Frahm: "Die Bar ist provisorisch eingerichtet - ein paar Latten sind einfach über eine Metalltür gezogen worden, bisschen Plastik draufgelegt, an den Wänden sind behelfsmässig Paletten auf denen Gläser stehen, die Bar ist einfach aus ein paar Brettern zusammengezimmert, der Eingang mit Absperrbändern gemacht. Wir gehen jetzt mal weiter - hier im Hof wird gearbeitet. Da malen zum Beispiel Leute auch einfach Bilder an Wänden. Aber sag mal - Malerei ist doch total out oder?"
Christoph Schäfer: Neenee, das kommt immer darauf an was auf dem Bild drauf ist.
Ole Frahm: Was ist auf dem Bild drauf eigentlich?
Christoph Schäfer: Ist das die richtige Frage? Geht das jetzt hier um Malerei-oder-Nicht-Malerei?
Ole Frahm: Wenn Du hier schon vor der Leinwand stehst und tatsächlich ein Objekt malst, erstmal sehr viel weiß pinselst. Das Objekt selber sieht aus , wie... tja.
Christoph Schäfer: Über das Objekt werden Sie sich heute der Sache nicht nähern können. Das kann ich Ihnen jetzt schon versprechen. Das ist ein Berg. Aber das Bild hat das Thema "Die Stadt ist unsere Fabrik", und der werde ich mich hier jetzt annäheren. Ich schaff jetzt hier nur ein paar Grundlagen gerade. Das wird dann in einem Diskussionsprozess entstehen.
Ole Frahm: Also in nem Dislkussionsprozess der Arbeit hier vor Ort.
Christoph Schäfer: Genau, genau. Und da, muss ich sagen, ist die Malerei irgend einem Computer noch lange nicht unterlegen.
Ole Frahm: Es kommt drauf an was man draus macht. Ich seh hier gibt’s ein Skizzenbuch. Ist das jetzt die Idee das Skizzenmaterial als Grundlage für die Diskussion zu nehmen?
Christoph Schäfer: Also für mich ist das sowas, dass ich mit Skizzen auch Ideen entwickle. Und Denken und so. Das kann man nicht so genau ausrechnen ob das nun um Denken geht oder um Zeichnen. So um "schöne Zeichnung" im engen Sinne geht's natürlich nicht, das hat mich aber auch noch nie interessiert, ehrlichgesagt.
Ole Frahm: Und die Leinwand hängt hier einfach an sonem Bauzaun - die hast Du hier einfach aufgehängt?
Christoph Schäfer: Der Bauzaun war schon da, die Leinwand hab ich drangehängt.
Ole Frahm: Ist ja so ein bisschen die Großkunstgeste - so mit Riesenleinwänden in großen Ateliers zu arbeiten.
Christoph Schäfer: Ja, genau. Wobei, hier auf der Straße - es hat auch die Prekarität.
Ole Frahm: Also du zitierst auch den Montmartre-Maler.
Christoph Schäfer: Ja dafür ist das Bild tatsächlich zu groß. Ich halte ja sehr viel vom mexikanischen Muralismo.
Ole Frahm: Was ist das?
Christoph Schäfer: Das ist Wandmalerei. Also Siqueiros - Alfaro Siqueiros, Diego Rivera sind - glaube ich - household names, auch bei der Hörerschaft dieses Radios. Also wenn man das mal erlebt hat, wie da in einem Präsidentenpalast in Mexico so ein Bild ist und da sind so die Leute drauf abgebildet, und man erkennt dann, dass die draußen teilweise durchaus noch so ähnlich aussehen, dazwischen der Kopf von Karl Marx, und dann ein Führer, der das Bild erklärt - und das, nachdem die Revolution dort ja schon vor 50 Jahren "institutionalisiert" wurde, ist das schon ein sehr toller Moment, wo man merkt, das kann sich auch immer wiederaktualisieren, so ne Malerei.
Ole Frahm: Ah! O.k...
Christoph Schäfer: Also ich finde diese Malerei-Ja-Nein-Debatte...
- kann stimmen - muss aber nicht!
Ole Frahm: Es wäre dann eher eine Frage des Kontextes.
Christoph Schäfer: Auf jeden Fall. Die hat natürlich den Vorteil zu einem Zeitpunkt wo alle anderen Medien kopierbar sind, ist sie es gerade nicht. Und sie ist sehr leicht zu handeln. Sehr leicht hin und her zu schieben. Das ist der Punkt an Malerei, der sie so extrem kommerziell macht. Das ist aber gleichzeitig auch ein Vorteil. Das muss man auch taktisch sehen.
Ole Frahm: Taktisch im Sinne von: welche Felder man besetzen kann.
Christoph Schäfer: Nicht nur das - womit man auch sein Geld verdienen kann.
Ole Frahm: Ja. Du machst jetzt hier aber keine Verkausausstellung?
Christoph Schäfer: Wer weiß - vielleicht ist das der Beginn einer großen Karriere.
Ole Frahm: Ich hab jetzt eben jemanden drinnen interviewt, relativ ausführlich, dass sie hier sowas wie ein neues Kreativquartier gründen wollen. Was hat Dich hierher getrieben?
Christoph Schäfer: Ich glaube, dass in den letzten Monaten eine sehr interessante Debatte hier in der Stadt angefangen hat, wo - ich sag's jetzt mal mit dem hässlichen Wort - die "Kreativen" anfangen eine Schlüsselrolle zu spielen. Für mich ist der Begriff eigentlich: Die Stadt ist unsere Fabrik. Und im Moment sind die Bewegungen und die Szenen, die Räume entwickeln, die Lebensstile entwickeln, die Haltungen entwickeln, tatsächlich Teil des kapitalistischen Produktionssystems geworden. Das war früher nicht so. Und dadurch sind diese städtischen und innerstädtischen Millieus, sind also die Orte, von denen man auch lebt, und die man gleichzeitig auch produziert, und dadurch sind Kreative, Künstler im weitesten Sinne in die Position gerutscht, die man durchaus vergleichen könnte mit der der Arbeiter vor 200 Jahren - so als sie angefangen habe früheste Formen der Organisierung zu machen. Und diese Auseinandersetzungen um Räume, die jetzt ausbrechen, sind ganz essentielle Auseinandersetzungen, weil Raum inzwischen das Produktionsmittel geworden ist für Leute. Das heißt auch, dass man in der Innenstadt wohnt, ist auch wichtig für viele Leute, damit sie überhaupt noch Anschluß an ihr soziales und ihr berufliches Netzwerk kriegen, genauso wie Kundschaft, d.h. dass es enorm wichtig ist, dass man sich solche Orte auch einfach hält und behauptet - mit einer Szene zum Beispiel. Für mich wäre der Slogan schon "Die Stadt ist unsere Fabrik". Das hängt auch damit zusammen, dass sich privates und berufliches nicht mehr so genau auseinander rechnen lassen. Das ist für mich auch eine große Veränderung die in den letzten 20 Jahren passiert. Die ist auch schon länger im Gange. Aber jetzt nochmal technisch unterstützt, ist jetzt überhaupt nicht mehr auseinanderzurechnen, ist jetzt Dein Kontakt, mit dem Du Freundschaft pflegst, wieviel Prozent davon ist Freundschaft, wieviel Prozent ist Beruf, Wissensbildung, Wissensaustausch. Und deshalb ist zum Beispiel das Mietrecht, das noch gewisse Wohnverhältnisse schützt, das reicht einfach nicht mehr aus, weil es ganz viele Leute gibt, die Räume für was anderes brauchen, und wenn die dann aus den Innenstädten rausfliegen, dann funktioniert das halt nicht mehr. Und im Moment haben wir ja ein schon fast systematisches Killen von Clubs, von Orten, wo tatsächlich Wissen produziert wird, wo neue Lebenshaltungen produziert werden, und das steht in nem krassen Widerspruch zu der Umgarnung, die die Stadt Hamburg gerade von Kreativen Szenen macht, weil sie natürlich begriffen haben, dass da der Mehrwert erzeugt wird. Sie begreifen aber nicht, dass das diese kleinen schrabbeligen Läden sind und begreifen das immer erst an so ner späteren Stelle...
Ole Frahm: Das ist doch ein klarer Unterschied zu den Fabriken des frühen 19ten Jahrhunderts.
Christoph Schäfer: Meinst Du?
Ole Frahm: Damals haben sie schon begriffen dass da produziert, dass da Mehrwert erzeugt wird. Zumindest in England wo schon im 18ten Jahrhundert die ganzen Bauern im Prinzip enteignet werden, ihre Felder zu Schafwiesen gemacht und sie in die Fabriken getrieben werden. Da ist ja schon klar, das ist jetzt der Motor. Und das ist ja hier zumindest neunübersichtlichere Situation.
Christoph Schäfer: Naja, das Problem ist doch, dass es nicht mehr organisiert ist wie eine Fabrik, mit einem Besitzer - sondern dass wir alle vom Neoliberalismus in so ne Art ich-AG gezwungen wurden, also zu soner Art Selbstvermarkter werden. Das ist halt viel näher dran an denen, die es vielleicht mal direkt vermarkten können. Das ist die eine Möglichkeit - die andere ist, dass die das natürlich schon erkennen - so ein Festival wie das Dockville wird ganz gezielt nach Wilhelmsburg gebracht. Man versucht ganz gezielt die kreative Szene auszuquetschen und nach Barmbek zu bringen um dort ein Kreativquartier zu machen. Man hat das auf einer gewissen Ebene durchaus erkannt. Da oben.
Ole Frahm: Also ihr seid Instrument der Stadtplanung.
Christoph Schäfer: Ja. Oder schau die Subvision an - wird jetzt gleichzeitig demnächst eröffnet. Da haben sie ja ganz präzis umrissen: uns fehlt das Kreative, das Subversive, und wie kriegen wir das irgendwie rein, ohne das wir die Kosten dafür zahlen müssen? Da laufen jetzt gerade die zwei Modelle sehr interessant nebeneinander her.
Ole Frahm: Und das hier wäre das andere Modell?
Christoph Schäfer: Ja. Und zwar eins, dass sich sehr schön an so ner Schwelle bewegt, zwischen Eigenvermarktung - es geht um unsere Arbeitsmöglichkeiten tatsächlich an soner Stelle. Das finde ich, ist auch interessant dran. Oder es geht auch darum; will man in einer langweiligen Stadt leben, ja oder nein. Und das Problem ist schon, dass das "Off"-Marketing der Stadt Hamburg begriffen hat: eine langweilige Stadt will man natürlich auf gar keinen Fall sein. Man merkt auch, dass das mit dem Maritimscheiß nicht so ganz klappt, da haut ihnen ihr Standortmarketing immer dazwischen, weil das einfach zu öde ist. Das begreift jeder Betriebswirtschaftler inzwischen, während sowas, was hier passiert, das begreifen die nicht, und das ist natürlich viel aufregender. Ich find das hier selbst sehr aufregend, weil ich überhaupt nicht einschätzen kann, worum es sich hier eigentlich handelt. Und das wird nicht nur mir allein so gehen. Das finde ich gut. Ich weiß gar nicht ob ich das übers Radio so hören will, aber das find ich im Moment unglaublich wichtig, dass Sachen passieren, die man überhaupt nicht mehr einschätzen kann. Was ist das? Ist das überhaupt politisch?
Ole Frahm: Ja, man riecht hier, was ist es, patchouli, und man fragt sich, naja... O.K., das schmeckt hier nicht wirklich nach Klassenkampf. Aber Klassenkampf ist vielleicht nicht mehr dass die Partei oder die Gewerkschaft sagt, dass wir uns organisieren müssen.
Christoph Schäfer: Ja es gibt ja diesen Unterschied, nicht. Das war eine Diskussion, die wir vor ein paar Tagen hatten, im Keller eines Lokals, und dann hieß es plötzlich: wir sind eine Klasse an sich - aber noch nicht für sich. Das ist, glaube ich, was hier passiert.
Ole Frahm: Ich finde ja auch tatsächlich interessanter, wo erstmal eine Praxis stattfindet, und wie man die Praxis zu bewerten hat, das kann man dann erst rauskriegen, wenn es soweit ist...
Christoph Schäfer: Ist ja auch total Öde - diese ausrechenbaren Sachen, wo du schon bei jedem Plakat sofort weißt, worum es sich dreht und wer da angesprochen ist. Ich finde das viel spannender jetzt, wie das so unausrechenbar läuft.
Ole Frahm: Wo man noch nicht genau weiß: warum kommt wer hierher, welche Kontexte sind das eigentlich, wie ist es rumgegangen. Soweit ich weiß, war die Polizei gestern hier, war aber nicht wirklich informiert, hat also ein bisschen funktioniert wie das Schanzenfest, aber in einer Gegend, die zunächst mal unverdächtig ist, in die bekannten, wiederkehrenden und damit langweiligen Muster zu verfallen.
Christoph Schäfer: Ich muss jetzt weitermachen.
Ole Frahm: Das ist jetzt keine Performance?
Christoph Schäfer: Nicht wirklich. Performance kann ich wirklich wenig mit anfangen. Wir wollten das eigentlich kollektiv hier malen mit mehreren Leuten, vielleicht auch größer werden lassen - wir werden mal sehen wie sich das entwickelt.
Ole Frahm: Alle klar. ich glaube ich gehe mal wieder zur Musik. Ihr hört immer noch das Freie Sender Kombinat und das war einer der hier herumsitzenden beteiligten Künstler, und hier ist jetzt ein bisschen mehr Gitarrenmusik."
Fußnote: Die Ausdrücke »Klasse an sich«, »Klasse für sich« und »Klasse an und für sich«, die Marx zugeschrieben zu werden pflegen, finden sich bei diesem nicht. Bucharin etwa behauptet in seiner Theorie des historischen Materialismus (1922, §54), Marx verwende die Ausdrücke »Klasse an sich« und »Klasse für sich« in Elend. Doch dort und zumal in dem von Bucharin als Belegstelle zitierten Passus unterscheidet Marx »eine Klasse gegenüber dem Kapital«, in der eine »Masse« von Besitzlosen zusammengewürfelt ist, von einer »Klasse für sich selbst«, in die sich diese Masse über Konfl ikte, Erfahrungen und Organisation verwandelt (4/181). Die objektive Lage jener Masse geht ihrer intersubjektiven Realisierung voraus. Daher die auf den ersten Blick paradoxe Einsicht, die E.P.Thompson mit seinem Kontrahenten Althusser teilt, dass der Klassenkampf der Klasse (im vollen Sinn) vorausgeht.
Gesendet live auf FSK am 22. August 2009, Abschrift: CS, 2010, Kategorie: Texte die es nicht in "Die Stadt ist unsere Fabrik" geschafft haben