Imagecity.

 

„Alles was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen. Die Bilder, die sich von jedem Aspekt des Lebens abgetrennt haben, verschmelzen in einen gemeinsamen Lauf, in dem die Einheit dieses Lebens nicht wiederhergestellt werden kann. Die teilweise betrachtete Realität entfaltet sich in ihrer eigenen allgemeinen Einheit als abgesonderte Pseudo-Welt, Objekt der bloßen Kontemplation. (...) Das Spektakel...ist...eine Anschauung der Welt, die sich vergegenständlicht hat.“ Als Guy Debord 1967 die Welt mit diesen Worten beschrieb wie einen depressiven Barockgarten, befand sich die städtebauliche Ideologie des Funktionalismus auf dem Scheitelpunkt. In Ost und West entstanden auf Bedürfnisbefriedigung reduzierte Hochhaussiedlungen. Niemand hatte diese, der Charta von Athen entsprechenden „Architekturen der Trennung“ früher – und schärfer - kritisiert, als die fortgeschrittensten künstlerischen Strömungen: die Lettristen, das „Imaginistische Bauhaus“ von Asger Jorn, die Situationistische Internationale. Doch waren es nicht die visionären Gegenentwürfe der Künstler – etwa Constants „New Babylon“ oder Archigrams „Sin Centre“ – durch die das funktionalistische Stadtmodell des Industriezeitalters abgelöst wurde. Vielmehr scheint sich der Wandel unter dem Einfluß des Modells „Disneyworld“ zu vollziehen.

Die Stadt, das Urbane, das sich mit dem Stadttheoretiker Henri Lefèbvre als die „Verdichtung von Unterschiedlichkeiten“ definieren lässt, wird im Zeitalter der „Imagecity“ weiter homogenisiert, diesmal nicht unter dem Paradigma der Funktionalität oder des Bedürfnisses – sondern unter dem des Bildes. Euphemismen wie „Themenstadt“ oder „Die Stadt als Bühne“ verweisen auf das gleiche Phänomen wie der kritische Begriff der „Disneyfizierung“ oder der „Latte-Macchiatisierung des Öffentlichen Raums“.

Disney’s Themenparks zeichnen sich ja durch die genaue Kontrolle aus, mit der künstlerische Mittel eingesetzt werden, um bestimmte  Gefühle, Verhaltensweisen und Zustände herzustellen. Das ist alles andere als harmlos: was das Bild stört, wird entfernt.

Die Kunst, besonders die im öffentlichen Raum, spielt im Zeitalter der Imagecity eine zentrale Rolle. Waren ihre behördlichen Verwalter noch vor kurzem etwas SPD-nörgelig damit beschäftigt, sich defensiv als "weicher Standortfaktor" anzudienen, sprudeln heute Geldmittel in ungeahnter Höhe aus Tourismus- und Stadtentwicklungsetats, wird Kunst von Unternehmen und Politik ganz unverblümt als Element zur Produktentwicklung und Immobilienaufwertung eingesetzt.  Bilder, Images, sind im Zeitalter des Postfordismus nicht mehr nur Teil des „kulturellen Überbaus“ sondern Bestandteil der „ökonomischen Basis“ geworden. So leistet sich ein Auto-Konzern im Großen Garten Dresdens mit der „Gläsernen Manufaktur“ einen Showbetrieb, der die Luxuslimousinen von gecasteten Arbeitern vor Publikum montieren lässt – Arbeit als Maschinenballett, negative Verwirklichung konstruktivistischer Träume aus der Frühzeit der Sowjetunion, die rekonstruierte Innenstadt als Barock-Kulisse für die ästhetisierbaren Anteile der Produktion.

Dieser janusköpfige Machtzuwachs der Bilder ist früh von Künstlern thematisiert und listig genutzt worden – bereits 1982 mit dem von Minus Delta T geprägten Begriff der „Mediamystik“ . Andere Projekte nutzten die Verletzlichkeit von Bildern als Chance für Interventionen mit emanzipatorischer Zielsetzung– etwa die legendäre Imagebeschmutzungskampagne des Anti-Olympischen-Komitees Amsterdam 1986. Martha Rosler arbeitete 1989 den Zusammenhang von Kunst und Gentrifizierung heraus. Ab Mitte der 90er verwiesen Adam Page und Eva Hertzsch mit ihrem Info-Offspring-Kiosk auf die Entfernung mobiler Kleinökonomien aus Dresden (das modellhaft für die Unterwerfung einer Innenstadt unter das Bild eines barocken Phantasmas steht), die „Innenstadtaktionen“ und der „Goldene Engel“ versuchten, zusammen mit Obdachlosen gegen den Ausschlusscharakter der Imagecity anzugehen. Die Gruppe „Ligna“ erprobte mit dem Radioballett die massenhafte Wiedereinführung verbotener Gesten am Hamburger Hauptbahnhof.

Die Hansestadt wurde lange Zeit um ihr freies „Kunst im öffentlichen Raum Programm“ beneidet. Heute hat das international keine Bedeutung mehr. Wie so häufig, werden Paradigmenwechsel in der Elbmetropole besonders scharf sichtbar: Kunst soll jetzt dem Image der wachsenden Stadt dienen, auf den Seiten der Illustrierten gut aussehen und Stadtteile mit günstigen Mieten teuer machen. Was man eigentlich will, bringt ein pompöses Projekt auf den Punkt, das die vor sich hindümpelnde Hafencity investorentechnisch auf Trab bringen soll. Herzog & de Meuron entwarfen eine „Elbphilharmonie“, die nicht gerade dem entspricht, was man sich früher unter Avantgarde und Anspruch vorgestellt hat. In ihrem Entwurf drückt sich das betuliche Begehren nach störungsfreier Repräsentationskultur in maritimem Ambiente als technoid-sentimentales Bild aus – in Form eines abstrahierten Segelschiffs...


Debord, Guy, in: Die Gesellschaft des Spektakels, 1967, zitiert nach: Edition Nautilus, Hamburg 1978

siehe: Minus Delta t Plus, Das Bangkok-Projekt, Merve, Berlin 1982,
sowie: The Bangkokproject (1982 - ), in: Mike Hentz Works 4, Salon Verlag Köln 1999

„If you lived here...“, DIA-Art-Foundation, 1989

 

Christoph Schäfer, Glossar/Katalog Skulpturprojekte Münster 2006